Tag 3 (20.07.18): Von Nordhalben bis Tettau

Das einzige Gebäude Thüringens im Bauhausstil: das Haus des Volkes in Probstzella.

Sturz: Das ging schief bei der Abfahrt (unterhalb des Altvaterturms)

Ehemaliger Schiefersteinbruch bei Lehesten

Dors sieht noch (!) ganz gut aus. Ein gutes Tandem …

Lauenstein: 13 Prozent Steigung auf 5 Km –  Wir sind beide total fertig.

Tag 3 (20.07.18):  Von Nordhalben nach Tettau

Km: 92 – 156

Im Gasthaus Zur Post gut geschlafen. Es war eine Wohltat. Obwohl es den Charme der 80er Jahre hatte, war es sehr ruhig. Am Morgen beobachte ich, wie sich eine ältere Frau aus Nordhalben mit einer Flüchtlingsmutter, die mit einem Kind mit ihr zusammen steht, unterhält und versucht, ihr zu erklären, was ein Info-Zettel bedeutet.
Sobald wir in den ‘Westen’ kommen, merken wir, dass in diesem ländlichen Raum die soziale Zusammensetzung offenbar anders ist als auf der Ost-Seite: Es gibt Gastarbeiter und Flüchtlinge.

Wir fahren entlang der Erlebnisstraße der deutschen Einheit, genießen die kleinen Landstraßen mit mäßigen Steigungen, kommen an einer Kuhherde mit einem Bullen, der schwer an der Last seiner Hoden zu tragen hat, vorbei. So etwas sieht man bei uns nicht.

Kurz vor Lehesten gelangen wir zu einem auffälligen Denkmal: Der Altvater-Turm ist eine Wallfahrtsstätte der Vertriebenenverbände. Erika Steinbach ist auf den ausgehängten Fototafeln zu sehen. Auf mehreren Etagen wird an die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem Sudetenland, dem Erzgebirge, aus Schlesien und der Altvaterregion im heutigen Tschechien erinnert. Natürlich auch an die Gräueltaten, die an der deutschen Bevölkerung in den Jahren 1945-1947 begangen worden sind. Benesch-Dekrete. Allerdings kein einziges Wort über die Vorgeschichte und die Ursachen der Vertreibung, die Gräueltaten während der deutschen Besatzungszeit, vom Holocaust ganz zu schweigen. Ich denke an die rechtzeitige Flucht von Wilma Iggers und ihrer Familie aus Bischofteinitz / Horsovsky Tyn, an ihre Verwandten, die nicht emigrieren konnten und folglich umgekommen sind.

Gespräch mit einem ehemaligen Maurer über das Leben im Osten und Westen, früher und heute. Früher habe es im Osten mehr sozialen Zusammenhalt gegeben.

Durch einen Tannenwald geht es bergab. Der kleine Pfad ist mit Steinen und Wurzeln übersät. So lege ich mich zum ersten Mal mit dem Fahrrad hin. Ich stürze vom Rad, rolle gekonnt wie ein Stuntman ein paar Meter den Waldboden herunter – nichts passiert! Dors macht ein Foto zur Dokumentation des Sturzes.

In Lehesten kommen wir an dem Historischen Schieferbergbau, einem technischem Denkmal, vorbei. Dors ist wieder in seinem Element. Leider ist eine Führung erst um 14.00 Uhr möglich. Ich kaufe mir eine kleine Schiefertafel mit Schwamm und Lappen. Erinnerungen werden wach an die Einschulung 1956 in Röhrig.

In Steinbach an der Haide kommen wir an einem wunderschönen großen Blumengarten vorbei, deren Parzellen sich die Dorfbewohner teilen. Andreas Kieling hat ihn, glaube ich, auf seiner Reise entlang der deutsch-deutschen Grenze in seinem Buch „Ein deutscher Wandersommer“ auch beschrieben. Ich spreche mit einer älteren Dame. Die Nachbarin, eine Frau – ist es die, die er in seinem Buch abbildet? – gibt bei unserem Anblick Fersengeld.

Wir fahren runter bis ins Tal zur Einöde Falkenstein, wo sich bis in die Sechziger Jahre die Bayrische Bierbrauerei Karl Schneider befand. Mitten durch den Gebäudekomplex verlief die Grenze zwischen Bundesrepublik und DDR.  Ein rotes Auto steht auf der Veranda. Ein Gedenkstein erinnert an die Öffnung der Mauer.

Parallel zu Straße und Bahn auf Radwegen fahrend,  kommen wir nach Probstzella. Das Grenzmuseum im Bahnhof ist geschlossen, nur noch mittwochs sowie samstags und sonntags geöffnet. Ein Symbol für das nachlassende Interesse an der deutsch-deutschen Geschichte?

Dors erfährt von einem coolen Jugendlichen, dass das Haus des Volkes in Probstzella ein Hotel ist, aber dass er da wohl nicht reinkommen würde. Ein beeindruckendes Gebäude im Bauhausstil. Wir trinken Kaffee und essen verschiedene Sorten Kuchen. Noch geht es uns gut …

Nun treten wir gegen halb vier den Rest unserer Route nach Tettau zu Dietrich Schütze und seiner Frau Angelika an. Wir verpassen den Weg zur Burg Lauenstein und fahren von Lauenstein eine 13-prozentige Steigung 5 Kilometer weit rauf. Ich im Turbo. Dors schiebt mindestens den halben Weg. Er kommt in einem erbärmlichen Zustand auf der Bank mit der schönen Aussicht an. Mein Akku ist fast leer. Wir fahren bzw. schieben weiter. Im Wald bin ich total platt… Ich sag nur 5….

An der nächsten Weggabelung fahren wir in Richtung Thüringer Warte in der Hoffnung, die Gaststätte Zum Löwen zu finden. Aufladen! Es ist aber die verkehrte Richtung. Also zurück! Mit letzter Kraft, zum Glück geht es bergab, kommen wir auf einem modernen Gehöft bei Ebersdorf an, wo uns eine junge Bäuerin Strom-Asyl gewährt. Eine Stunde Zwischenstopp und viele Informationen über Viehwirtschaft. Die 14 Tage alten Kälbchen saugen an den Fingern. Das juckt fürchterlich! Bin ich das Ersatzmuttertier?

Es geht noch einmal für einige Kilometer bei 11 Prozent Steigung die Frankenwaldhochstraße bergauf, bis wir auf der Höhe sind. Ein Kreuz mit Stacheldraht. Daneben am Rennsteigweg Hinweisschilder auf ein Gehöft, das sowohl zur DDR als auch zur BRD gehörte. Bewohner hatten wohl beide Ausweise. Irgendwann wurde es geschleift.

Über Klein-Tettau geht es nach Tettau, noch einmal 16 Prozent Steigung, allerdings nur 1,5 Kilometer, und wir sind endlich auf dem Wildberg 18 angelangt! Begrüßung durch Dietrich. Hier war ich mit Otto Buchholz, meinem leider viel zu früh verstorbenen Freund und Kollegen, im Jahre 1992 schon einmal, als wir von Eisenach den Rennsteig entlang gewandert sind.

Erinnerungen an gemeinsame Zeiten mit Otto Buchholz, weshalb Dietrich und Angelika sowie eine Reihe anderer alternativer, linker Aussteiger aus dem Rhein-Main-Gebiet 1976 hier in die Einöde, in die Wildnis, keine 50 Meter von der Grenze entfernt,  gegangen sind … – sehr spannend und beeindruckend. Natürlich fragen wir ihn auch noch den Ereignissen im November und Dezember 1989. Nähere Einzelheiten erfahren wir auch aus dem Brief an seine Geschwister, geschrieben im Dezember 1989, in dem er die großen Veränderungen detailliert und in beeindruckender Weise aus persönlicher Sicht beschreibt. Ein wirkliches zeitgeschichtliches Dokument der Wendezeit.

Am Abend haben wir dann im Anno Domino eine herrliche Pizza gegessen und ein sehr interessantes und differenziertes Gespräch mit Janine, der Bedienung, geführt. Sie ist in Lehesten geboren und im Alter von 7 Jahren mit ihrer Mutter hier nach Tettau gekommen. Bei den jungen Leuten gebe es keine Unterschiede, sagt sie. Kinder aus Tettau gehen in das thüringische Neustadt und nach Sonneberg in die weiterführenden Schulen und nicht in das bayrische Kronach.

Die Pizza war wohl doch zu fettig: mitten in der Nacht Sodbrennen.

Die Knochen tun weh, die Muskeln sind angespannt. Das war der härteste Tag bisher – 60 km Berg hoch und Berg runter. Wir fahren zukünftig immer mit der Angst, dass der Akku nicht lang genug hält.