Anreise (17.07.2018): Von Hof nach Raitschin
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Anreise (17.07.18): Von Hof nach Raitschin
Km: 1- 19
Es kann beginnen. Endlich!!! Nach monatelangen Vorbereitungen, dem Studium vieler Bücher über das Grüne Band, die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Der schwere Autounfall Ende März auf der A 10 war noch einmal ein Wink mit dem Zaunpfahl…schiebe im 70. Lebensjahr nicht mehr so viel vor dir her, was du vielleicht noch machen, eleben möchtest. Wer weiß, wie lange es dir noch gegönnt ist…
Mit Dors treffe ich mich morgens um 9 Uhr am Bahnhof in Karlsruhe. Ungläubig schauen wir uns an. Wollen wir es wirklich wagen? Zwei Typen, auf die siebzig zuschläudernd, begeben sich auf große Fahrt. Standes- und altersgemäß mit dem E-Bike wollen wir zum Startpunkt unserer Radtour: das Grüne Band am Dreiländereck Bayern-Tschechien-Sachsen.
Die Fahrräder kommen hinten auf den Bike-Träger und es kann losgehen. Ein bischen Abenteuer-Feeling ist auch dabei. Der A 5, A 6 und A 9 folgend ist unser erstes Ziel heute Hof. An der Autobahnkirche Himmelkron lagen wir einen Zwischenstopp ein. Ganz ohne spirituelle Unterstützung geht es nun auch nicht. Die Christopherus-Kirche ist ein beeindruckender sakraler Bau, man kommt sich verloren vor, winzig, aber der Blick richtet sich nach oben….Wie so oft, wenn ich eine katholische oder orthodoxe Kirche betrete, zünde ich drei Kerzen an….und verweile einen Augenblick in Stille…1399 Kilometer an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze ist ein langer Weg.
Es ist Mittag und schon relativ heiß. Das Auto kommt in den Schatten und wir wenden uns profaneren Dingen zu. Hotel Opel: Leberknödelsuppe und Pfirsichmaracuja-Torte, schmeckt alles nicht besonders. Hatten uns mehr davon versprochen.
In Hof suchen wir den Bahnhof. In der Bahnhofstraße stellt Dors sein Auto ab. Die Fahrräder, das ganze Gepäck wird abgeladen, auf dem Bürgersteig verstreut…die Passanten schauen ungläubig zu.Und tatsächlich, wir bekommen alles in unseren Packtaschen unter. Das Zelt, die Liegematratze und der Schlafsack dürfen natürlich auch nicht fehlen…man weiß ja nie.
Ein freundlicher älterer Herr, kommt gerade von einem Nachmittag mit Flüchtlingskindern, fragt uns, wohin wir wollen. Gaststätte Eisteich, unser erstes Ziel, der Ausgangspunkt des Grünen Bandes. Hier haben sich Anfang Dezember 1989 ca. 400 Natürschützer aus Ost und West getroffen und das Grüne Band aus der Taufe gehoben. Wir stehen vor der geschlossenen Gasstätte: „Hier soll alles angefangen haben?“. Irgendwie unwahr. Ich komme mir verloren vor.
Es kann nun endlich losgehen: Entlang der Saale fahren wir über Landstraßen nach Regnitzlosau weiter nach Raitschin. Ich denke mir bei all dem Gepäck, Fahrrad und Beladung werden wohl sich 45 bis 50 Kilo haben: „Ein Glück, dass ich eine E-Bike habe.“ Dors dagegen: „Das hätte ich noch mit einem guten Rad gepackt, auch ohne eine ‚Elektroschlampe‘ zu sein.“ Nach knapp 20 Kilometern und zweistündiger Fahrt kommen wir im Gasthof Raitschin an und sind positiv überrascht.
Nach dem Duschen setzen wir uns in den Biergarten. Im Gegensatz zu Ostwestfalen setzen sich noch andere Gäste dazu. Ursula, eine stattliche Dame, die sich mit ihrem Mann und einem weiteren Gast zu uns an den großen Tisch gesetzt hat, ist in Schwesendorf, wenige Kilometer von Raitschin entfernt und direkt an der früheren Grenze liegend, geboren. Im Prinzip ohne Vater groß geworden, erzählt sie von ihrem beruflichen Werdegang. Die 72-Jährige war früher Gold-Malerin in der Porzellan-Industrie bei der Fa Hutschenreuther in Selb. Sie hat sich, so erzählt sie stolz, als erste Frau in den Sechziger Jahren in einem traditionellen Männerberuf behauptet. Eine aktive Gewerkschafterin und Betriebsrätin, ein sehr sozialer und kommunikativer Mensch. Ihr Mann, ein paar Jahre älter, bleibt recht still.
Wir diskutieren über die Grenze, wie es früher vor 1989 war und wie es heute ist. „Wir haben heute ein gutes Verhältnis zwischen den Bayern und Sachsen.“ Heiraten zwischen Ost und West seien keine Ausnahme. Zugezogene aus der ehemaligen DDR vollkommen integriert. So vergeht der Abend wie im Fluge, ein paar Gläser Williams Christ Birne lösen die Zungen… Werden wir noch andere Menschen treffen, die uns so bereitwillig Auskunft über ihr Leben an der früheren Zonengrenze bzw. Staatsgrenze West geben werden? Kann es vielleicht sein, dass Menschen in Ost und West die Geschichte der deutschen Teilung, die Ereignisse des Jahres 1989 und vor allem der Nachwendezeit heute nach drei Jahrzehnten unterschiedlich bewerten?