Tag 6 (23.07.18): Von Eisfeld nach Einöd

Rottenbach-Eisfeld: Grenztum der Grenzübergangsstelle (GüSt) mit moderner AGIP-Tankstelle im Hintergrund

Grenzturm mit Museum

Fränkische Landschaft: auf dem Wege nach Ahlstadt.

Blick von der Burgruine Straufhain

Blick von der Burgruine Stauf

Stadttor in Heldburg: war die Pension wirklich schon ausgebucht?

 

Tag 6 (23.07.18): Von Eisfeld nach Einöd

Km: 222 – 255

Beim Aufstehen tun die Knochen weh. Frühstück ok. Ein Paar, über 60, sportliches Radler-Outfit, fährt die Werra runter bis nach Hann. Münden. Ich richte Grüße aus. Die Stadt, in der ich zur Schule gegangen bin und einen rücksichtsvollen, jungen Klassenlehrer (Mathe und Physik) hatte. Er hat mich durchs Abi geschleust. Nach der Fünf in Englisch (Klasse 10) und der Fünf in Französisch (Klasse 12) durfte ich keine weitere haben.

In Ahlstadt steht eine wunderschöne Kirche. Ich komme mit H. ins Gespräch. Frührentner, früher Bauer, jetzt trägt er mit seiner Frau morgens ab halb drei Zeitungen aus. Unterstützung bekommt er nicht angesichts seines Besitzes an Ackerflächen. Früher war es hier ruhig, total ruhig. Das einzige, was gestört hat, waren die Amerikaner mit ihren Jeeps und Panzern, aber kein Problem. Flurschäden wurden reguliert.

„Nach 1989 musste man hier alles abschließen. Im November sind die DDR-Bürger mit den Trabbis gekommen. Kilometerlange Schlangen.“ Heute jedoch keine Ressentiments, nur vereinzelt. Er erzählt von seiner Krankheit, Morphium, Rückenschmerzen. Keine Perspektiven und das mit Mitte Fünfzig. Das Gespräch macht mich sehr nachdenklich. Ich vergleiche seine und meine gesundheitliche Situation. Große Dankbarkeit.

In Grattstadt mache ich eine Vesperpause unter einem schönen Nussbaum. Ab und an kommt ein Auto vorbei. Fast wie in den 60er Jahren.

Über Heldritt fahre ich nach Bad Rodach. Die italienische Eisdiele am Marktplatz gehört mir: ein Eiskaffee. Am Nachbartisch eine relativ (wohlhabende) ausländische Familie, vermutlich Flüchtlinge (aus Syrien?), fährt nachher mit dem großen, gebrauchten Volvo weg. Das deutsche Ehepaar mittleren Alters am Nachbartisch schaut mit großen Augen hinterher.

Im Netto kaufe ich mir eine Banane, Zahncreme und Zahnbürste, die ich bei Dietrich liegen gelassen habe. Alles ist so vertraut (im Westen).

Auf dem Weg zur Burgruine Straufhain treffe ich nicht nur einen Haibaike-Fahrer, der sich noch gut an die Zeiten vor der Wende erinnern kann. Alles war ruhig, man konnte auf der Straße spielen. „Heute muss ich die Kinder zur Vorsicht aufrufen.“

Kurz nach Streufdorf (mit geschlossenem Museum) treffe ich X. Weshalb habe ich den Namen vergessen? Jahrgang 45, erzählt mir eine Schauergeschichte, wie er im November 89 mit einem Kumpel beim illegalen Grenzübertritt vom Westen in den Osten von den Amerikanern und dem BGS festgehalten wird. Im Laufe des Gesprächs („Merkel hat einen jüdischen Polen als Vater …“) stellt sich heraus, dass er 1988 bei einem Verwandtenbesuch gemeinsam mit seiner Frau im Westen geblieben ist. Die Kinder waren im Osten.

„Vater war bei der SS, er musste ja irgendwo mitmachen.“ „UK als LKW-Besitzer, …die Russen haben uns dann alles weggenommen, aber Putin ist in Ordnung.“ „Die Krimbesetzung war richtig.“ „Die Franzosen und die Tommys waren am Zweiten Weltkrieg schuld.“
Ein Alt-/Jung-Nazi wie aus dem Buche. Anscheinend hat er einen Narren an mir gefressen, weil ich mich halbwegs in der Geschichte auskenne. Er begleitet mich einen Teil des Weges zur Burgruine.  Verabschiedung: „Zu guten Freunden sage ich: Sieg Heil und immer dicke, fette Beute“. An dieser Stelle wird es mir zu viel: „Auf Sieg Heil kann ich verzichten …!“
Irgendwer muss ja die AFD wählen …

Mit dem Turbogang des E-Bikes geht es zur Burgruine hoch. Fantastischer Ausblick. Mit dem Stativ mache ich ‘repräsentative’ Fotos mit Blick in alle Richtungen. Ein sportlicher Opa, Anfang bis Mitte 50, kommt mit seiner Frau und den zwei Enkeln aus Hannover den Berg hoch. Alles vorbereitet: Schatzsuche und Orientierungsaufgaben mit dem Kompass. Ein Erlebnis für die Enkelkinder. Der sportliche Opa hat mit dem Fahrrad auch schon viele Touren in Deutschland etc. gemacht, allerdings ohne E-Bike, wie er stolz betont. „Früher war alles ruhig in unserem Ort im Sperrgebiet.“ Trauert er der alten DDR-Zeit nach? – Ich glaube eher nicht.

Eigentlich wollte ich da oben die Nacht verbringen (weshalb habe ich eigentlich das Zelt mitgenommen?). Aber dann habe ich doch Manschetten bekommen und auch nicht genügend Wasser dabei gehabt. Also, den steilen Berg wieder runter und auf die Suche nach einer Unterkunft. Es ist mittlerweile sechs Uhr und der Asphalt der Landstraße reflektiert die Hitze des Tages (gut über 30 Grad). Die Autofahrer von West nach Ost (HBN – Hildburghausen) rasen nach Hause. Für mich noch alles etwas unwirklich, wenn man 40 Jahre die Grenze als nahezu undurchlässig erfahren hat.

Auf der letzten Rille komme ich in der Country-Scheune in Einöd mit seinen 43 Einwohnern laut Wikipedia an. In einem Haus an der Landstraße haben sie noch ein kleines Zimmer unter dem Dach. Als das Haus gebaut wurde, war Dachisolierung wohl noch ein Fremdwort … es ist proppenheiß. Dafür ist das Essen reichhaltig und mächtig, aber es liegt mir im Magen. Ich bin mal wieder so richtig kaputt abends und das Laufen tut weh.