Tag 8 (25.07.18): Von Rieth nach Irmelshausen

Ehemaliger Grenzzaun  an der Straße zwischen dem thüringischen Rieth und dem bayrischen Zimmerau

Schöner Wald und ruhige Landstraße zwischen Rieth und Zimmerau

Bayernturm in der Nähe von Zimmerau

Geschafft: Kolonnenweg in der Nähe des geschliffenen Dorfs Leitenhausen

Grenzmahnmal in Eicha: brütende Hitze und ein kritisch schauender Dorfbewohner

Tag 8 (25.05.18): Von Rieth nach Irmelshausen

KM: 285 – 322

Nach einem fantastischen Frühstück, das ich so nicht erwartet hätte, samt Zeitungsbericht über den Gastwirt und seine Verdiensten bei der Reparatur der Kirche, fahre ich den Berg hoch Richtung Zimmerau. Über der Gemeinde thronend ein neu erbautes Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs: „Sie sollen nicht umsonst gestorben sein“. Was soll man sich dabei denken?

Am ehemaligen Grenzübergang stehen noch Reste des Zaunes nebst Erläuterungen und historischen Fotos aus der Wendezeit 1989/90 sowie ein Gedenkkreuz. Seit 1990 dürfen auch die katholischen Wallfahrer aus Hessen zu den 14 Allerheiligen wieder durch das thüringische Frankenland. Jedes Jahr werden in Hellingen 650 Pilger von den örtlichen Vereinen zu einem Frühstück eingeladen. Ökumenische Hilfestellung. Ein Beispiel für christliches Bürgerengagement.

Kurz vor dem Bayernturm frage ich einen älteren Mann, der seinen Caravan streicht, ob er mir mit einer Kompressorluftpumpe aushelfen könne. Na klar. Es ist offensichtlich: Menschen in meinem Alter sind in der Regel sehr hilfsbereit. Dies gilt auch für den pensionierten Lehrer aus dem Bayrischen, der mit einer Wandergruppe unterwegs ist und mir bereitwillig Auskunft über die Zeit vor 1989 und danach gibt. Auf den Bayernturm komme ich leider nicht hoch, weil der eine gewechselte Euro zwar in den Automaten passt, ich aber nicht direkt durch das Drehkreuz gehe, sondern mir den Weg selbst verschließe. Ich sage nur: Mann und Technik …

Auf dem Weg zum geschliffenen Dorf Leitenhausen begegne ich einer holländischen Radfahrerin, die mit vollem Gepäck und ohne elektrische Unterstützung die Grenze entlang fährt, meist nur Straßen, aber immerhin. Ich komme mir alt vor.

An der Saalequelle ist eine herrliche Kühle, die ich angesichts der Hitze gut gebrauchen kann. Der naheliegende Führungsbunker und B-Turm erlauben wieder eine Auseinandersetzung mit der Grenzgeschichte. Am Telefon erhalte ich eine kurze, wenn auch nicht enthusiastische Auskunft. Besichtigung nur nach Voranmeldung. Wie soll ich das auf einer solchen Tour machen?

Auf dem Wege durch den Wald treffe ich auf einen Förster, der sich beim Vorbeifahren bedankt, dass ich angehalten habe. Ich vermute, dass er wegen der Waldbrandgefahr sein Revier kontrolliert hat. Ich erinnere mich an meinen Großvater, der auch Förster war und im Dezember 1960 durch einen unerfahrenen Schützen aus der Heiligenstädter SED-Kreisleitung zu Tode kam.

Plötzlich eine T-Kreuzung und die bittere Erkenntnis, dass ich auf dem Kolonnenweg bin und mir nichts anderes übrig bleibt, als den Kolonnenweg steil bergan hochzufahren. Hole mein Stativ raus und mache Fotos und ein Video. Die letzten Meter muss ich, um nicht stehen zu bleiben, fürchterlich in die Eisen steigen. Seitdem habe ich wieder Schmerzen im gebrochenen Brustbein – typisch! Immer Stärke beweisen, koste es, was es wolle. Und das mit knapp 70 Jahren … Man lernt nie aus.

Nach einer kurzen Abfahrt und einem schönen Tal mit Wiesen und Resten des Drahtzaunes, wo ich erst einmal im Schatten eine Pause mache, kommt die nächste Steigung. Nur noch länger und höher. Aber hier gibt es keinen Ehrgeiz mehr. Es wird ab der Hälfte geschoben. Zum Glück weiß ich jetzt, wie die Schiebehilfe funktioniert.

Am geschliffenen Dorf Leitenhausen mache ich unter großen Bäumen eine Pause und ein Nickerchen. Trinken, trinken, trinken ist jetzt bei weit über 30 Grad angesagt. Durch den Wald komme ich nach Trappstadt im Westen. Die Kneipe hat nicht mehr geöffnet, kein Einkaufsladen, nur die Filiale einer Bäckerei mit kleinem Nebenraum hat am Mittwochnachmittag geöffnet. Das Kaffeekränzchen der älteren Damen trifft sich hier jeden Mittwochnachmittag. Ich bin ein exotischer Gast. Ich trinke und trinke, Apfelschorle, Wasser, Kaffee und esse ein Stück Kuchen, eine Bratwurst im Brötchen. Herrlich.

Es hilft nichts. Es geht weiter. Noch ist der Akku etwas geladen, es geht bergan und irgendwie komme ich wieder auf den Kolonnenweg, der mir allerdings nach einem Kilometer zu viel wird. Durch eine Wiese geht es zur Landstraße. Ich komme an einer Herde von Schafen vorbei, die das Grüne Band wohl kultivieren sollen, vielleicht sogar im Auftrag des BUND.

In Eicha ist es nachmittags um halb fünf bullenheiß. Ich werde argwöhnisch beäugt, wie ich mit meinem Stativ Fotos von mir, dem Fahrrad und den Grenzreliquien mache. Bei der Umarmung des DDR-Grenzpfahles in Schwarz-Rot-Gold weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll …, anscheinend zu viele traurige Erinnerungen. Vielleicht kommt auch die Hitze noch dazu.

Im unterfränkischen Irmelshausen habe ich kurz vor sechs keine Lust und Kraft mehr weiterzufahren. Gasthaus zur Linde. Familienbetrieb. Die gute, alte Zeit der Sechziger und Siebziger Jahre. Ein freundlicher Wirt im fortgeschrittenen (meinem) Alter bietet mir ein ruhiges Zimmer an. Die Dusche ist herrlich. Die Beine und die Schulter schmerzen. Ich trinke eine Flasche Wasser, mehrere Birnenschorlen usw. Das Rostbrätl und der Salat schmecken gut.

Als ich wieder ein paar Tagebuchnotizen gemacht habe, gehe ich noch einmal vor die Tür und frage einen älteren, langhaarigen Mann: „Was malst du da?“ – „Von Ihnen lasse ich mich nicht mit Du anreden, wir haben noch keine Schweine zusammen gehütet.“ Es stellt sich heraus, dass er ein Tagebuch mit sehr schönen Malereien führt und ein Aussteiger aus München ist, der in den 90er Jahren nach der Öffnung der Grenzen in diesen bayrischen Grenzort gekommen ist.

Bundeswehr, BGS und Amerikaner hätten auch ihre Spitzel im Ort zu DDR-Zeiten gehabt. Hier war eine hohe Militärkonzentration. Fulda-Gap. Wir diskutieren über Zeitgeschichte, die 68er und schließlich bietet er mir an, morgen sein Atelier zu besuchen.