Tag 29 (15.08.18): Von Osterhagen nach Zorge

Osterhagen: vor dem Gasthaus „Zur Post“

letzter Blick aufs Eichsfeld

„traumhaftes Appartement“ in Bad Sachsa für 20.000 Euro

sehr sachkundiger und diskussionsfreudiger Museumsführer in Bad Sachsa

malerischer See auf dem Weg nach Walkenried und Ellrich

Hinweistafel im ehemaligen KZ Ellrich.


Gedenkstein für die KZ-Häftlinge aus der Stadt Leuven in Belgien

Stein mit Wegemarkierung „Zorge“ und „Ellrich“

Tag 29 (15.08.18): Von Osterhagen nach Zorge im Harz

Km: 875 – 912

Nach einem guten Frühstück packe ich meine tausend Sachen zusammen und schleppe alles zum Fahrrad, das ich mittlerweile aus der Garage geholt habe. Ich komme mit Viola, einer der beiden Frauen, die die Gastwirtschaft bewirten, ins Gespräch. Nach der Frage „Wohin heute?“ und dem Bestaunen, Begutachten des Fahrrads und des Gepäcks kommen wir schnell zu einem persönlichen Gespräch, in dessen Verlauf Viola mir erzählt, dass sie mit ihrer früheren Lebenspartnerin, jetzigen Ehefrau, deren Familie die Gastwirtschaft schon seit Generationen betreibt, in dieser dörflichen Gemeinschaft mit ihrer Lebensform total akzeptiert ist. Sogar der katholische Pfarrer habe zur Hochzeit gratuliert. Ich bin verwundert, dass auf dem platten Land andere Lebensformen anscheinend anerkannt werden. Auch hier merke ich, dass sich in den letzten sieben Jahrzehnten in der Bundesrepublik enorm viel getan hat, die Geselllschaft offener, toleranter geworden ist. Wenn ich an die diesbezüglichen Verfolgungen der Nazi-Zeit denke, verstehe ich auch die Diskussion vom gestrigen Abend besser. Mit guten Wünschen und dem Angebot „Ruf einfach an, wenn du nicht weiterkommst, wir holen dich überall ab, auch wenn es zwei Kilometer vor dem Brocken ist!“, werde ich verabschiedet. Es tut so richtig gut!

Quer durch den Wald, mal wieder über Stock und Stein, geht es weiter, an einem ehemaligen Munitionsbunker vorbei, der aussieht wie ein Wasserhäuschen, nach Bad Sachsa. Ich hole mir Geld aus dem Sparkassen-Automaten, welch eine Normalität, wenn ich an die Sechziger Jahre denke, wo man immer persönlich zur Bank gehen musste, um Geld abzuholen. Gut: Vielleicht war man damals auch noch nicht so überschuldet wie viele Menschen es heute leider sind. Man spricht von 10 % der Bevölkerung. Bad Sachsa macht z. T. einen etwas sehr in die Jahre gekommenen Eindruck. Alte Einfamilienhäuser sind für 39.000 Euro zu kaufen, Eigentumswohnungen für 20.000.

Ich beschließe, das von Tettenborn mittlerweile nach Bad Sachsa umgezogene Grenzlandmuseum zu besichtigen. Öffnung um 13.00 Uhr. Also vorher noch etwas essen. Wildcurrywurst mit Pommes. Zwei Bratwürste liegen auf dem Teller und ich weiß nicht, wie ich die mit der Currysauce herunter schlingen soll. Eine echte, halbwegs gut schmeckende Herausforderung.

Im Grenzlandmuseum werde ich von einem ehemaligen Berufssoldaten in Empfang genommen, der seit seiner Pensionierung akribisch und mit großem zeitlichen Aufwand die Geschichte der 132 Km Grenze in dem nord-hessischen und süd-niedersächsischen Abschnitt nicht nur persönlich abgelaufen ist, sondern auch Archive in Koblenz, Freiburg oder in den grenznahen Kreisen und Gemeinden besucht und erforscht hat – von den ganzen Exponaten, davon vielen alltagsgeschichtlichen aus der Nachkriegszeit, ganz zu schweigen. Es fällt mir auf, dass die Mikro- und Makroebene eigentlich immer gut verbunden sind, also die Ereignisse vor Ort und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Ich bin beeindruckt von dem Wissen des Museumsführers, der mir viele neue Informationen bietet, mit dem ich aber auch sehr intensiv über meine bisherigen Erfahrungen und Einschätzungen während der Reise, vor allem, was die unterschiedlichen Mentalitäten in Ost und West angeht, sprechen kann. Eigentlich wollte ich nur eine halbe Stunde zu diesem „Pflichtbesuch“ bleiben, aber die kollegiale Diskussion, auch wegen meiner eigenen Bundeswehrerfahrung,  lässt die Zeit verfliegen. Schließlich wollen die anderen Museumsbesucher auch noch eine Führung …

Auf meinem Weg nach Ellrich in die ehemalige KZ-Gedenkstätte Juliushütte mache ich noch eine kurze Stippvisite im Zisterzienserkloster Walkenried, einem imposanten Areal aus dem Mittelalter. Die Besichtigung der Kirche spare ich mir, weil ich ja noch in das gestern Abend  angesprochene KZ Ellrich will.

Bei der Ankunft in dem ehemaligen KZ bin ich enttäuscht. Keine Ausstellungs-Räumlichkeiten, nur einige Informationstafeln und ein relativ großes Erinnerungs-Monument, errichtet von der Stadt Leuven in Belgien für ihre hier umgekommenen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter. Von einem Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dora-Mittelbau erfahre ich dann telefonisch, dass die Bevölkerung von Ellrich anscheinend kein großes Interesse an diesem Monument habe. An dem Spendenaufruf hat sich nur der Bürgermeister mit 100 Euro beteiligt. Er wurde bei der nächsten Wahl abgewählt. Allerdings gibt es wohl auch einen rührigen Verein Jugend für Dora, der noch internationale Jugendlager durchführt. Ein wenig Hoffnung für die Zukunft.

Der Rest ist schnell erzählt. Schokolade bei Lidl einkaufen, am Wurstwagen erst ein Mettbrötchen und dann noch einmal eine schöne Eichsfelder Wurst auf die Faust, die die Fahrt zum nächsten Ort nicht „überlebt“, und dann vom eigentlichen Grenzverlauf abweichend das nächste Harztal bergauf Richtung Brocken  und in Zorge noch ein schönes Gasthaus gefunden mit guter französischer Küche. Fisch gab es nicht mehr. So habe ich einen vorzüglichen kleinen Salat gegessen und eine gutes Glas Rotwein getrunken …