Tag 20 (06.08.18): Heilbad Heiligenstadt

katholisches Marcel-Callo-Haus in Heiligenstadt (Lindenallee)

Tag 20 (06.08.18)  Heilbad Heiligenstadt

KM: 640 – 652

Die Nacht schlafe ich sehr unruhig. Ich wache gegen vier Uhr in der Frühe auf und muss mich erst einmal orientieren. Das behindertengerecht eingerichtete Zimmer Nr. 163 im EG hat etwas Spartanisches, vielleicht liegt es auch an den doch sehr intensiven Diskussionen des vergangenen Abends. Ich setze mich unter die herrlichen Schatten spendende Linde und versuche, meine Tagebuchaufzeichnungen der letzten Tage auf den neuesten Stand zu bringen.

Ich überlege mir das Programm für die nächsten Tage und rufe zunächst meinen Cousin Ernst-Georg an, mit dem ich schon seit einigen Monaten wieder telefonischen Kontakt aufgenommen hatte. Der Zufall (?) will es, dass er gerade mit dem Auto am Marcel-Callo-Haus vorbeifährt. Spontan setzen wir uns auf eine Tasse Kaffee im Innenhof des früheren Konvikts zusammen und bringen uns persönlich und familiengeschichtlich auf den neuesten Stand. Schließlich haben wir uns mindestens seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen. So erfahre ich auch, dass er gerade heute Geburtstag hat.

Am späten Nachmittag fahre ich dann mit einer Flasche französischem Rotwein nach Geisleden zu seiner Geburtstagsfeier. Dort treffe ich auch seine Frau Barbara, seine Töchter Beatrix und Iris sowie die drei Enkel. Es ist von Anfang eine große Freude und Herzlichkeit. Es fühlt sich an wie ein familiäres Nachhausekommen im Eichsfeld. Kuchen und Gehacktes gehören natürlich dazu. In Windeseile organisieren meine Schwägerin und meine Nichten für mich in den kommenden Tagen ein Treffen mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern meiner Eltern in Beuren sowie in Röhrig, wo beide als Lehrer/innen gearbeitet haben. Ebenso laden mich Iris und Beatrix zu sich nach Hause ein.

Abends treffe ich mich wieder mit M. im Marcel-Callo-Haus. Marcel Callo übrigens, und das verwundert mich schon ein wenig, ist der Namensgeber dieser Bildungsstätte in dem doch eher konservativ geprägten Eichsfeld. Er war ein französischer Laienpriester, der sich freiwillig zum Arbeitseinsatz in Deutschland gemeldet hatte, um seinen Landsleuten seelsorgerisch beizustehen. Seine klare Opposition zum NS-System hatte zur Folge, dass er ins Gefängnis musste und dann schließlich im März 1945 im KZ Mauthausen umgekommen ist. Von der katholischen Kirche wurde er  später selig gesprochen. Es ist zu hoffen, dass die jugendlichen Besucher nicht nur etwas über die Geschichte von Marcel Callo erfahren, sondern auch seinen Mut und seine Standfestigkeit in Fragen der Menschenrechte übernehmen.

Die wiederum sehr intensive Diskussion mit M. wird im Hotel Norddeutscher Bund, einem mittlerweile wieder sehr schön zurecht gemachten Hotel mit Außengastronomie, fortgesetzt. Dort treffen wir Freunde und Bekannte von ihm, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt im Eichsfeld wohnen. Es ergeben sich in noch schwüler Hitze interessante Gespräche über die Mentalität der Eichsfelder, mögliche Unterschiede zwischen Ost und West, vielleicht auch die Unterschiede zwischen Menschen, die nah an der Grenze zu DDR-Zeiten gewohnt haben, also durch den kleinen Grenzverkehr immer schon mehr Kontakte mit der Bundesrepublik gehabt hatten als z. B. Menschen in Leipzig, Dresden, Bochum oder Köln. Es freut mich besonders, dass ein Gesprächspartner, der in der evangelischen Kirche aktiv ist, auch das Gefühl hat, dass man angesichts der rechtspopulistischen Propanganda so langsam aufstehen müsse und öffentlich und privat Farbe bekennen müsse.