Tag 38 (24.08.18): Von Binde / Arendsee nach Gorleben

Haselnusshof: Abschiednehmen von der Starck-Familie – Helena: „na klaar!“

Dors vor dem Haselnusshof mit Hinweis auf die Fahrradwerkstatt

Idylle am Arendsee

Kontrastprogramm …

Video Arendsee

Dorfkirche auf dem Weg nach Stresow

Erinnerung an das geschleifte Dorf Stresow

… ohne Worte: Stresow 1

… ohne Worte: Stresow 2

ein „trautes“ Paar ?

Grenzübersicht in Schnackenburg

Grenzmuseum Schnackenburg: der Trabi – ein DDR-Kultfahrzeug

Wieder im Wendland …

Brückenkopf Höhbeck: Blick vom Aussichtsturm auf die Elb-Auen

Blick auf die Elbe

Gorleben: ein leckeres, „strahlendes“ Buffet am Abend

Tag 38 (24.08.18):  Von Binde/Arendsee nach Gorleben

Km: 1231 – 1285

Zum Frühstück haben unsere Gastgeber in der guten Stube ein tolles Frühstück mit selbst gemachten Marmeladen etc. aufgefahren. Ich bin mal wieder geplättet und weiß nicht, wo ich anfangen soll, zumal auch die Brötchen aus einem Bio-Laden kommen. Jürgen berichtet noch von der Vielzahl seiner umwelt-pädagogischen Aktivitäten am Grünen Band, seien es nun Schulklassen, Rentnergruppen oder Weltenbummler, wie z. B. Mario Goldstein, der im Auftrag des BUND dieses Jahr auch bei ihm vorbeigekommen ist. In diesem Jahr seien es schon 30 gewesen, ergänzt er später.

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns sehr herzlich, Christian wird aus seiner Werkstatt geholt für einen Schnappschuss und natürlich seine Tochter bzw. die Enkeltochter Helena, ein wahrer Sonnenschein. Ihre Lieblingsantwort: „na klaar!“ Das Transparent vom Grünen Band darf auf dem Foto natürlich auch nicht fehlen.

Am Arendsee fahren wir am malerischen Süd-Ufer entlang. Es ist ca. 9 Uhr und einige Rentner/innen machen mit und ohne ihre vierbeinigen Begleiter einen Morgenspaziergang. Wir treffen auf einen Mann, vielleicht Mitte sechzig, mit dem wir über eine halbe Stunde ein sehr reflektiertes Gespräch über das Leben in der DDR, die Wendezeit und die letzten Jahrzehnte im vereinten Deutschland führen. Er kennt Ost und West, war zu DDR-Zeiten Lehrer an einer Berufsschule und ist dann kurz nach der Wende Mercedes-Verkäufer in Magdeburg geworden. Er berichtet von den Schwierigkeiten, sich dem westlich-kapitalistischen System anzupassen, den Verwerfungen, die viele DDR-Bürger nach 1989 miterleben mussten. Zum Glück hatte er persönlich aus seiner Zeit als Rallyefahrer noch Kontakt zu einem Kollegen, der bereits in den 80er Jahren in die BRD geflüchtet war und ihm das Einmaleins des Autoverkaufens im Westen erklärt und ihn rechtzeitig über alle No-Goes unterrichtet hatte.

Dors braucht Bargeld und ich möchte Bananen und die Lokalzeitung. Wir fahren vom Seeufer in den Ort. Es ist Freitagvormittag. Die Rentner/innen kaufen ein, die Männer in meinen Augen z.T. in sehr legerer Kleidung (Trainingshosen, Sportunterhemd). Fast wie in alten Tagen. Dors meint, dass dies wohl nicht nur eine spezifische Kleidung von DDR-Urlaubern gewesen sei, auch in kleineren Dörfern und Städtchen in Frankreich sei solch ein Aufzug bis heute gang und gäbe. ‑ Die Salzwedler Volksstimme hat keinen Bericht gebracht.

Wir fahren am Grenzbesichtigungs-Punkt von gestern Abend vorbei, wollen aber Kilometer machen und halten nicht nochmal an. Der gestrige Vortrag von Jürgen Starck war beeindruckend. Wir halten uns Richtung Norden und kommen über Gollensdorf, Drösede und Aulosen zu einer Gedenkstätte, wo sich das geschliffene Dorf  Stresow befindet. Alle Häuser wurden platt gemacht und die Bewohner zwangsweise umgesiedelt. Hier sehen wir auch wieder die Grenzzäune. An einem befindet sich eine Gesichtsmaske aus Ton. Weit geöffnete Augen und Mund vermitteln den Eindruck von Entsetzen und Schreien. Ein älterer Mann, nur bekleidet mit einem Tuch, geht an uns vorüber zum See, um dort nackt zu schwimmen.

Es sind nur noch wenige Kilometer, bis wir, auf dem Deich entlang fahrend, nach Schnackenburg kommen und dort am Hafen in das Grenzlandmuseum gehen. Ein Mann, wohl über 80 Jahre alt, gibt uns bereitwillig Auskunft. „Nein, viel Kontakt mit den Leuten drüben gibt es nicht. Wir sind ja hier in Niedersachsen. Außerdem sei nach 1990 die Schifffahrt erheblich zurückgegangen. Das kleine, mit sehr vielen DDR-Exponaten ausgestattete Museum ist interessant. Nur die Schulklassen, die würden immer weniger kommen. Und wenn, dann würden die Mädchen der 8. und 9. Klasse auf dem Boden sitzen und Zigaretten rauchen. Ich denke, sie werden eher Zigaretten gedreht haben. Unabhängig davon scheinen zwei Mittfünfziger sich sehr gut mit den DDR-Militaria auszukennen. „Weißt du noch …?“ ­‑ „ Das ist doch die …!“ ‑ „Die hatten wir auch!“. Manchmal frage ich mich, welche Funktion diese Grenzlandmuseen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze mittlerweile haben. Eine Form der Ostalgie für frühere Mitglieder der Grenztruppen, eine Möglichkeit, die DDR als verbrecherische Diktatur darzustellen und somit vielleicht auch von der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 abzulenken? Ich weiß es nicht, bin mir unsicher. Ich erinnere mich an das Gespräch mit der jungen Leiterin des Grenzmuseums in Teistungen bei Duderstadt: Demokratische Werte vermitteln sei die Hauptaufgabe. Wir gehen und bedanken uns bei dem Herrn der Museums-Aufsicht. Er liest die neueste Ausgabe seiner Vertriebenenzeitung.

In einer kleinen Außengastronomie bestellen wir uns etwas zu trinken und zu essen. Dors nimmt einen Kuchen, ich Matjesfilets mit Bratkartoffeln. Irgendwie esse ich gefühlt schon 5 Wochen Bratkartoffeln, spätestens seit Thüringen, aber sie schmecken immer wieder. Die Zwiebeln der etwas mickrigen Heringe stoßen mir bei der Weiterfahrt unangenehm auf, Sodbrennen lässt grüßen. Ich spüre die kritischen Blicke eines Mannes, der uns in Stresow nach den E-Bikes, insbesondere dem i:sy von Dors, gefragt hat, Akkudauer, Preis etc. Als wir uns zur Abfahrt bereit machen, spüre ich wieder den etwas kritischen, vielleicht auch neidischen Blick. Ich komme mir etwas vor wie der reiche Wessi, der sich im Prinzip aber nichts darauf einbildet, mit einem Mittelklasse E-Bike Baujahr 2017 unterwegs zu sein. Wieso denke ich nur an die Diskussion mit dem älteren Mann an der Werra, der von dem nach der Wende aufkommenden Neid im Dorf berichtet hatte …?

Wir fahren auf westlicher Seite immer relativ nah am Deich die Elbe entlang und müssen auf den letzten Metern zur Erhebung Höhbeck und dem dortigen, luftigen Aussichtsturm eine richtige Steigung über ca. 500 Meter hinauf. Dank Turbo-Modus trotz des schweren Gepäcks alles machbar. Oben in luftiger Höhe hat man einen weiten Blick in die Altmark, auf die Elbe und das Wendland. Ca. eineinhalb Stunden nach Schnackenburg, der kleinsten niedersächsischen Stadt, haben wir Gorleben, den Standort des umstrittenen Atom-Zwischenlagers, erreicht. Das Hotel hat den Charme eines Industriegebäudes, allerdings sind die Zimmer wohl mit Plüsch (z. T. in roter Farbe) eingerichtet. Hat das was damit zu tun, dass früher eine Nachtbar im Hotel war?

Am Abend bekommen wir im Gasthaus an der Hauptstraße gerade noch etwas zu essen. Das Buffet steht noch bereit. All you can eat für 14,99 €. Dors und ich schlagen richtig zu. Ich frage die Kellnerin, ob das Gemüse verstrahlt sei. Antwort: „Das Essen ist genau so strahlend wie wir.“ – Der Elfmeter hat gesessen. Diskussion beendet.