Tag 37 (23.08.18): Von Salzwedel durchs Wendland nach Binde / Arendsee
Tag 37 (23.08.18): Von Salzwedel nach Binde/Arendsee
Km: 1193 – 1231
Morgens nach dem Frühstück muss ich erst nochmal eine dreiviertel Stunde meine Tagebucheintragungen vervollständigen. Dors wartet schon vor dem Haus. Von einer Angestellten erhalten wir den Tipp, es in einem Hotel in Gorleben mit der nächsten Übernachtung zu versuchen. Wir haben allerdings das Ziel, heute Abend in Binde bei Jürgen Starck, einem BUND-Aktivisten, zu übernachten. Wir fahren zunächst auf einer kleinen, ehemaligen Landstraße (einer schönen Allee mit altem Baumbestand) in die Hansestadt, die wenige Kilometer von der ehemaligen Grenze in Sachsen-Anhalt liegt.
Ich brauche einen Friseur: Der Bart muss gestutzt werden. Das letzte Mal geschah dies in Heiligenstadt vor mehr als zwei Wochen. Dors will bei seinem Fahrrad das letzte Firmware-Update von Bosch aufspielen lassen, vergeblich. Auf dem Weg zum Friseur komme ich an der „Volksstimme“ vorbei, überlege kurz und schon frage ich nach einem Redakteur, der ja einen kurzen Bildbericht über unsere Reise in die Lokalzeitung bringen könnte. Es klappt, ein junger Mann kommt. Es stellt sich heraus, dass er sein erstes Bundesligaspiel auf der Alm bei Arminia in Bielefeld gesehen hat, den 5:0 Pokal-Sieg Arminias gegen Lok Stendal am vergangenen Sonntag ebenfalls. Mal abwarten, ob der Fotobericht tatsächlich veröffentlicht wird.
Wir entscheiden uns, heute zunächst ins Wendland, also in den Westen zu fahren, bevor wir nach Binde zu Jürgen und Traudi Starck fahren, zu denen ich, vermittelt durch das Grüne-Band-Projektbüro in Nürnberg schon vorher per Mail Kontakt hatte. Auf unserer Tour zu Dietrich Schütze in Tettau am Tag drei haben wir bewusst, aber schweren Herzens auf den Besuch der KZ-Gedenkstätte Laura in der Nähe von Probstzella aus Zeitgründen verzichtet, was sich im Verlauf des Tages und den Problemen mit den Akkus als richtig herausgestellt hatte. Jetzt machen wir aber einen kleinen Umweg und verlassen Salzwedel in Richtung Ritze. Direkt an einer Brücke gelegen, besuchen wir die Gedenkstätte für 244 im Jahr 1945 auf einem Todesmarsch umgekommene KZ-Häftlinge, die dort in einem Gemeinschaftsgrab bestattet sind.
Ich erinnere mich an meine eigenen Forschungen zum Ende der Weimarer Republik und zur Geschichte des 3. Reichs, z. B. die Dissertation zu „Widerstand und Verfolgung in Darmstadt und der Provinz Starkenburg“, die 1985 nach langen Auseinandersetzungen von der Hessischen Historischen Kommission veröffentlicht und in Darmstadt/Marburg erschienen ist, auch an die Besuche im ehemaligen KZ Buchenwald, das 1938 nach dem November-Pogrom errichtet wurde. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre war die Aufarbeitung der NS-Diktatur, des Faschismus in der DDR für mich vorbildlich im Gegensatz zum langen Verschweigen, dem Reduzieren auf den militärischen Widerstand des 20. Juli 1944 in der alten Bundesrepublik. Angesichts der rechtsextremistischen Entwicklung in den neuen Bundesländern in den 90er Jahren frage ich mich allerdings, ob es dem staatlich verordneten Antifaschismus der DDR wirklich gelungen ist, in die Köpfe und Herzen der vor allem jungen Menschen durchzudringen. Damit sollen die Absichten zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte, auch als Vermächtnis des Potsdamer Abkommens, prinzipiell nicht in Frage gestellt werden, aber vielleicht wurde auch in Teilen der DDR-Jugend die Teilnahme an solchen Gedenktagen etc. als Zwang angesehen und führte so eher zum Gegenteil.
Wir fahren ins niedersächsische Wendland. Dors berichtet von seiner Teilnahme an Protesten gegen die Lagerung des Atommülls in Gorleben Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre. In Volzendorf fahren wir die Dorfstraße entlang. Uns fallen die gelben, überkreuzten Bretter auf, die sich an den Häusern, an Scheunen oder an Gartenzäunen befinden. Also doch, der Widerstand ist noch sichtbar, obwohl die gelbe Farbe manchmal schon sehr verblasst erscheint. An einem großen Bauernhof, vermutlich bewohnt von einer Kommune, halten wir an und versorgen uns mit Äpfeln, die in der Hofeinfahrt gegen eine Spende ausliegen. Ein alter VW-Bulli mit Berliner Kennzeichen erinnert daran, dass wohl noch vor der Wendezeit viele Berliner Alternative ins Wendland gekommen sind, um gegen die Atomindustrie aktiv zu werden.
Ich erinnere mich, wie ich bei den letzten Castortransporten vor einigen Jahren kurzfristig überlegt habe, dem Beispiel meines Sohnes Christian zu folgen und auch die Gleise zu blockieren. Ich muss mir eingestehen, dass die drängenden Umweltfragen erst in den letzten Jahren wirklich in mein politisches Bewusstsein gelangt sind und ich bereit bin, in dieser Richtung aktiv zu werden. Meine Schwerpunkte waren bzw. sind eher soziale Fragen oder auch die Beschäftigung mit der Geschichte, der geschichtlichen Aufarbeitung des Endes der Weimarer Republik, der Nazi-Diktatur, insbesondere des Holocaust, wenn ich an das multimediale Geschichtsprojekt „Zwei Seiten der Geschichte“ des Vereins Brücken Bauen – Verein zur Förderung von interkultureller Verständigung (Herford) über die beiden Holocaust-Überlebenden Wilma und Georg Iggers denke.
Wir wollen nach Lemgow, sind aber etwas irritiert, weil auf der Navi-Karte zwar unser Ziel steht, aber nirgends finden wir, dort angekommen, das erwartete Ortsschild. Wir fahren über Predöhl und Trabuhn nach Schweskau. „Gibt es bei euch hier im Dorf eine Kneipe oder einen Supermarkt?“ frage ich zwei Männer mittleren Alters, die gerade eine Wand streichen. Bald wird geheiratet, da soll die Fassade schön aussehen. „Nee, ein Gasthaus gibt es heute nicht mehr, früher ja, aber wenn ihr einen Kaffee wollt, könnt ihr zu Frau A. gehen, da vorne erste Straße links und dann gleich rechts.“ Ok. Wir werden von einem kläffenden Hund erwartet. Kein Problem. Hunde, die bellen, beißen nicht. Außerdem kommt Frauchen, Frau A., auch schon aus dem Haus und beäugt uns erstmal kritisch. Ja, doch, einen Kaffee könnten wir kriegen, aber sonst gibt es nichts.
Dors holt mit dem Fahrrad Kuchen, natürlich eingepackten, aus dem Dorf-Supermarkt, der auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Ich versuche mich mit dem Hund anzufreunden, was mir aber auch nicht so richtig gelingt. Erst als Frau A. mit der Kanne Filterkaffee kommt, wird er etwas ruhiger. Ist halt genau wie Frauchen und wir selbst sind auch schon etwas in die Jahre gekommen. Wir erfahren von unserer Gastgeberin, dass es Lemgow als Ort gar nicht gibt, sondern dass 12 Dörfer im Wendland unter diesem Namen zusammengeschlossen sind. Sie ist auch ein Flüchtling aus dem Osten, allerdings schon seit den frühen 50er Jahren und war lange hier in Schweskau verheiratet. Ihr Mann und sie hatten eine gut gehende Wirtschaft, die sie aber vor mehreren Jahren aufgegeben haben.
Sie berichtet auch von ihrem Mann, der bei der Bundeswehr gearbeitet habe, auf einem großen Fernmeldeturm, der von der Bundeswehr als Aufklärungsturm betrieben wurde und heute noch sichtbar ist im Wendland. Sie haben dort den Osten abgehört. Von der Protestbewegung gegen das Atomlager in Gorleben hält sie nicht viel, besonders nicht von den jungen Frauen, die damals mit ihren kleinen Kindern voran marschiert sind …Wir machen ein Erinnerungsfotos und verabschieden uns herzlich. Ich glaube, Frau A. hat sich gefreut, sich mit anderen, ihr sympathischen Menschen einmal über ihr Leben zu unterhalten. Mit den Einheimischen wäre das so als Zugereiste manchmal immer noch etwas schwierig. Und, ach ja, unser Ziel Binde kennt sie auch. Sie fährt immer über die Grenze dorthin zum Friseur.
Dors entdeckt plötzlich einen Pirol. Dieser gelb-schwarze Vogel ist wohl mittlerweile eine Seltenheit und vom Aussterben bedroht. Er zeigt ihn mir und ich merke, wie einseitig doch meine Bildung ist. Ein Glück, dass Dors mich begleitet. Was hätte er nicht noch alles auf dieser Reise am Grünen Band entdeckt, an dem ich einfach unwissend, mich konzentrierend auf Geschichte, Politik und Menschen, vorbeigefahren bin?
Kurz nach der ehemaligen Grenze hat es mich bzw. besser gesagt mein Fahrrad in der Altmark erwischt: die gesamte Belastung, die Feldwege, die Schotter-, Wurzel- und Geröllstrecken auf den mehr als 1.200 Kilometern bisher hat der Gepäckträger, auf dem ca. 25 kg lasten, nicht länger ausgehalten. Auf der linken Seite ist die Schraube, die den Gepäckträger mit dem Rahmen verbindet, abgebrochen. Er hängt auf ‚halb sieben‘, an Weiterfahren über den holprigen Feldweg ist nicht zu denken. Ein Glück, dass Dors mich begleitet. Er hat für solche technische Probleme immer eine Lösung. Während ich dilettantisch mit einem meiner elastischen Gepäckgurte versuche, die Verlagerung auf die rechte Seite zu bewerkstelligen, holt er kurz entschlossen seine Kabelbinder raus und mit vieren davon wird der abgebrochene Gepäckträger notdürftig befestigt. Wir fahren auf Eiern und sehr vorsichtig die letzten Kilometer nach Binde, einem Ortsteil von Arendsee, zu Familie Starck. Zum Glück weiß ich, dass der Sohn eine Fahrradwerkstatt hat …
Wir werden von Jürgen Starck und seiner Frau Traudi herzlich begrüßt. Doch zunächst gilt mein Interesse mehr ihrem Sohn Christian, der eine alternative Fahrradwerkstatt betreibt, als gelernter Fahrradmechaniker ist er auf die individuelle Herstellung von Fahrrädern spezialisiert, nur am Rande verdient er sein Brot auch mit Reparaturen und dem Verleihen von Fahrrädern. Eigentlich hat er etwas anderes vor, aber er erkennt unsere, meine Notlage. Nach einer guten Stunde habe ich mein mittlerweile sehr geschätztes E-Bike wieder: Schraube herausgebohrt, neues Gewinde, Gepäckträger wieder richtig angebaut, das gleiche Prozedere für das vorherige Problem plus ein neuer Fahrradständer, Kette geölt, Gangschaltung eingestellt … Ich bin ihm sehr dankbar und hoffe, dass ich ohne weiteren Reparaturen bis zur Ostsee komme.
Jürgen und Traudi – angesichts der Vielfalt ihrer umwelt-politischen Aktivitäten ist es zu schwierig, sie mit einem Wort zu charakterisieren – betreiben den Haselnusshof. Ein sehr liebevoll, ökologisch und vielleicht auch anthroposophisch angelegter Garten begeistern Dors und mich. Es ist zwar trocken, aber die vielen Obstbäume etc. sprechen für sich. Ich bin etwas voreilig und brutal und angele mir die „Lille Villa“, ein schwedisches Holzhäuschen mit Bett, Mückenschutz, Kommode, Teppichen und einer kleinen Veranda, auf der sich ein Sofa, ein Tisch und ein paar Rohrsessel befinden. Dors hat als Alternative einen alten Bauwagen in 20 Meter Entfernung bekommen, der innen mit einem provisorischen Bett ausgestattet ist. Am meisten begeistert uns aber die Dusche, die wir nach diesem Tag so richtig genießen. Ein Holzviereck mit ausgelegten Brettern zum Draufstehen, eine Dusche, die gespeist wird durch Wasser, das von einem Solarpanel, das sich außen befindet, aufgewärmt ist. Die anschließende Dusche ist herrlich, fast so wie früher im Atlantik auf dem Zeltplatz von Le Gurp, nahe der Gironde. Die Toilette können wir im Haus benutzen, aber ich entscheide mich für die harte, ökologische Variante: das Plumpsklo mit Sägespänen.
Nachdem das Fahrrad repariert ist und Dors und ich uns frisch gemacht haben, erzählt uns Jürgen Starck sehr ausführlich seine Lebensgeschichte und seine umweltpolitischen Aktivitäten in der DDR und BRD. Geboren 1950 im brandenburgischen Freyenstein im Kreis Wittstock in der Nähe von Potsdam, ist er hauptsächlich aktiv in den 80er Jahren in der DDR-Umwelt‑ und Friedensbewegung in den Jahren vor der politischen Wende 1989. Man merkt ihm auch an, dass er stolz auf seine handwerklichen Fähigkeiten ist, auf seine Ausbildung und Berufserfahrung als Fernmeldetechniker, die er zu DDR-Zeiten zu nutzen wusste. Er berichtet von einem Vater und der persönlichen und politischen Prägung durch ihn, der aufgrund seiner Zeit in der Kriegsgefangenschaft ein Pazifist geworden ist. „Zur Fahne“ musste er trotzdem in der DDR. In der 2. Hälfte der 90er Jahre sind Traudi, ihr gemeinsamer Sohn Christian und er ins Wendland gekommen, bevor sie dann 2004 sich wieder im Osten, in Binde, einem Ortsteil von Arendsee, angesiedelt und den Bauernhof renoviert und modernisiert haben. Dazwischen lagen immer längere Aufenthalte in Schweden, wo beide auf ökologischen Höfen gearbeitet haben. Es ist spannend, ihm zuzuhören. Ein Querdenker, der sich im Interesse der Umwelt auch schon mit dem örtlichen Bürgermeister angelegt hat, als es um die Erweiterung einer großen Schweinemastanlage ging.
Nach einem sehr schmackhaften Essen, von Traudi und Jürgen zubereitet, mit allem, „was der Garten so hergibt“, fragen wir Jürgen, ob er mit uns an die ehemalige Grenze, das Grüne Band, fahren kann. Es ist schon spät, fast acht Uhr abends. Am nächsten Tag hat er wegen anderer Verpflichtungen keine Zeit. Mit dem Fahrrad schaffen wir das nicht mehr, also lädt er uns in seinen VW-Polo ein. Stolz erzählt er uns, dass wir hier die Fenster noch mit der Hand selber hoch‑ und runterkurbeln können … Wir fahren durch Arendsee und ungefähr 500 Meter nach der Badeanstalt biegen wir halblinks in einen Waldweg ein, der uns zu seinem ‚Lieblingsort‘ bringt, wenn es um die Erklärung des Grünen Bandes, der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und der Geschichte von Ost und West geht, zum historischen Grenzpunkt Klocksberg/Wirlspitze. Jürgen hält das Auto an, wir steigen aus und gehen auf einen ca. 100 m breiten, nur mit geringem Pflanzenwuchs versehenen Streifen, man könnte sagen eine größere Waldschneise, die im rechten Winkel die Nachbildung des tatsächlichen Grenzverlaufs sehr gut veranschaulicht.
Unser BUND-Vertreter erteilt uns in der aufkommenden Dämmerung eine Geschichtsstunde allererster Güte. Er zieht mit den Füßen eine Linie zwischen den Grenzpfosten aus Beton, holt seine selbst gebastelten Fähnchen heraus (UdSSR, USA, Frankreich, UK sowie die der beiden deutschen Staaten). Dann erklärt er auf einfache, aber sehr eindrückliche Weise mit Hilfe der Fähnchen die deutsch-deutsche Geschichte vom Ende des 2. Weltkrieges 1945 bis hin zum Jahr 1990. Ich beobachte ihn – nur staunend, als ehemaliger Politiklehrer, der dieses Fach mehr als drei Jahrzehnte unterrichtet hat, nur bewundernd,- wie er die Gründung der BRD im Mai 1949, die der DDR im Oktober 1949, Mauerbau, Grenzgestaltung etc. plastisch und einprägsam veranschaulicht. Es gefällt mir auch, dass er sehr differenziert an die tatsächlichen Verhältnisse an der Staatsgrenze West bzw. der Zonengrenze vom Westen aus gesehen beschreibt und beurteilt.
Wir sprechen auch über die Aufklärungs‑, man könnte auch Spionageaktivitäten auf beiden Seiten sagen. Die Rolle der DDR-Fernaufklärer, die bis auf einen Schritt ihren bundesdeutschen Kollegen vom Bundesgrenzschutz gegenüber treten durften, welch eine absurde, heute nicht mehr vorstellbare, aber doch reale Situation. Wir erinnern uns an das Gespräch mit Frau A. aus Lemgow, die von der Bundeswehrtätigkeit ihres Mannes auf dem Abhörturm im Wendland berichtete. Später stellt uns Jürgen Starck noch den Link zu der Webseite eines bundesrepublikanischen Experten, der über die Geschichte, Struktur und Aktivitäten der Fernaufklärung der Bundeswehr und des BGS eine Dokumentation erstellt hat. Manfred Bischoff war selbst von 1977 bis 1993 Fernmeldeaufklärer auf dem Thurauer Berg und lauschte in den Osten.
Es ist wohltuend, mit einem historisch interessierten, politisch aktiven Zeitzeugen der deutschen Teilung und Wiedervereinigung in solch einer differenzierten Art und Weise diskutieren zu können. Ich denke, dass dazu nicht nur die bei Fluchtversuchen aus der DDR Getöteten und Schwerverletzten gehören, sondern auch die, wenn auch in viel geringerer Anzahl, von vom Westen aus erschossenen und verletzten DDR-Grenzsoldaten ins Bewusstsein gerückt werden sollten. Die erst kürzlich ausgestrahlte ZDF-Fernsehfilmserie „Tannbach“ scheint diese Ansätze einer differenzierten Betrachtung der Lage und Aktivitäten dies und jenseits der deutsch-deutschen Grenze aufzunehmen.
Natürlich hofft Jürgen als begeisterter Umweltschützer, dass der nur noch sehr selten vorkommende Ziegenmelker sich vielleicht heute Abend noch akustisch bemerkbar macht. Er ist sich nicht sicher, als er entsprechende Laute dieses seltenen Vogels hört, ob es ein Jungtier ist oder nicht. Dors äußert sich dazu auch gleich fachmännisch. Ich bleibe lieber stumm. Von Ornithologie habe ich keine Ahnung. Durch die Nacht fahren wir noch ins Wendland zu einem ökologischen Bauernhof, auf dessen Hof sich ein Milch-Automat, teilweise finanziert von der EU, befindet. 6 Liter frische Biomilch für 6 Euro. Wie hat sich das Leben in den letzten sechs Jahrzehnten verändert!? Früher in Röhrig auf dem Eichsfeld habe ich in einer Kanne immer die Milch vom Bauern geholt und war ganz stolz, wenn beim Schleudern über dem Kopf keine Milch ausgelaufen war.
Nachts um drei wache ich auf. Es fängt an zu regnen. Ich genieße die Regentropfen auf meiner Haut. Ich stelle schnell mein Fahrrad in den Schuppen, kann aber lange nicht mehr einschlafen. Der Haselnusshof, seine Bewohner und deren Geschichte wollen mir nicht aus dem Kopf gehen …