Tag 10 (27.07.18): Von Weimarschmieden nach Hilders
Tag 10 (27.07.18): Von Weimarschmieden nach Hilders
KM: 362 – 400
Nachts wache ich von Krämpfen in den Beinen auf. Beim Aufwachen spüre ich noch die Strapazen der gestrigen Tour. Die Tatsache, dass ich keine Bettwäsche hatte, war kein Problem. Theresas Schlafsack hat seine Dienste getan.
Beim Frühstück komme ich ins Gespräch mit der Freundin der Wirtin, die aus der Schweiz kommt und als Psychologin jugendliche Flüchtlinge betreut. Ihr Mann wurde in Venezuela erschossen, als beide bei der Drogenfahndung tätig waren. Es ist bedrückend. Sie berichtet von ihrer multikulturellen und internationalen Familiengeschichte und von persönlichen Erlebnissen in den folgenden Jahrzehnten. Ihre Kinder sind und bleiben – wohl wie sie selbst auch – in diesem ehemaligen Zonenrandbezirk eine Fremde, die zwar mit ihrem Partner ein zeitweises Refugium gefunden hat, sich jedoch den Verbleib in dieser Grenzgegend bis zum Ende ihres Lebens nicht vorstellen kann.
In Fladungen steuere ich den ersten Friseurladen an. Leider hat der Friseur viel zu tun und verweist mich an die Konkurrenz. Es ist mittlerweile mal wieder brütend heiß und die Klimaanlage ist sehr angenehm. Die Auszubildende stutzt mir den inzwischen zottelig gewordenen Bart. Ein tolles Gefühl, als ich den Laden verlasse. Heute ist der letzte Schultag vor den nun beginnenden Sommerferien in Bayern.
Von Fladungen geht es steil über eine Distanz von 7 km zum Schwarzen Moor hoch. Ich merke, dass ich mittlerweile auf meiner Reise in der Rhön angelangt bin. Die ersten 4 km strampele ich noch routiniert im Sport-Gang, irgendwann muss der Turbo eingeschaltet werden. Ich habe das Gefühl, dass dieser Anstieg meine erste Gesellenprüfung auf dieser Tour ist. Nach zehn Tagen. Oben auf dem Berggasthof Sennhütte angekommen, genieße ich die herrliche Aussicht und eine etwas zu kalte Bionade.
Im Schwarzen Moor, einem Teil des UNESCO-Biospärenreservats, bekomme ich erst einmal einen Rüffel, weil es anscheinend nicht erlaubt ist, mit einem Fahrrad das Naturschutzgebiet zu befahren. Ich lege mich zu einem kurzen Nickerchen im Schatten auf eine Bank und versuche der Hitze ein wenig zu entfliehen. Im Informationszentrum mit Imbiss esse ich eine Thüringer Bratwurst, dem Bratwurstverkäufer, der ein Asylbewerber aus Syrien ist und eine zeitlang in der Türkei gelebt hat, sage ich zweisprachig: „shukran“ und „teşekkür ederim“.
Die nahen Grenzanlagen mit B-Turm sind mittlerweile Routine für mich geworden, ebenso wie der Hinweis auf eine Telefonnummer, die zur Besichtigung anzurufen sei. Ehemalige DDR-Grenzsoldaten berichten über ihre Erfahrungen in diesem Grenzabschnitt auf der Webseite www.forum-ddr-grenze.de. Über das thüringsche Frankenheim geht es wieder zurück in den ‘Westen’ mit einem Gedenkstein an der ehemaligen Grenze, von Pilgern errichtet für die Vierzehn Heiligen.
Im Hotel Deutsches Haus in Hilders komme ich gegen drei Uhr nachmittags an und mache einen so geschafften Eindruck, dass der unwesentlich jüngere Gastwirt eine meiner beiden Packtaschen die Treppe hoch in den 2. Stock trägt. Ich bin dankbar. Die Beine sind wirklich schwer. Ich falle nach der Dusche erst einmal ins Koma.
Der Fahrradladen um die Ecke hat Probleme, die richtigen Schrauben für meine Beleuchtungshalterung und die Schutzblechstrebe zu finden. Ein junger Mann, Handwerker aus dem thüringischen Frankenheim, fährt verschiedene Mountainbikes zur Probe. Seine Frau, geboren im hessischen Tann, fühlt sich in Frankenheim immer noch etwas als Fremde, – obwohl – in der Firma ihrer Eltern arbeiten Hessen und Thüringer ohne Probleme zusammen.
Ich freue mich, als abends dann Theresa und ihr Freund Jannis zu Besuch kommen. Wir verbringen einen schönen, unterhaltsamen Abend im Biergarten der Gaststätte direkt unter der Kirche. Zufall: unsere Tischnachbarn kommen aus Lockhausen, einem kleinen Nachbarort Herfords. Vor kurzem erst geehrt für 50 Besuche in Hilders. Wir genießen den Abend und schnäpseln mit den Lippern. Theresa zeigt keine Achtung vor ihrem Vater und dem Alter. Ich komme zu spät. Sie hat gerade schon bezahlt. Dem Kellner gebe ich zu verstehen, dass das gar nicht geht. Da er offensichtlich einen Migrationshintergrund hat, entwickelt er Verständnis für mich, aber was soll er machen, wenn eine junge Frau kommt und die Rechnung bezahlt. Ich schlucke nur. Ändern sich so langsam die Zeiten und gehöre ich nun mit meinen knapp 70 Jahren auf`s Altenteil?