Tage 25 und 26 (11. und 12.08.18): Bremke – Ruhetage
Tage 25 und 26 (11. und 12.08.18): Bremke – Ruhetage
KM: 783 – 787
Nach der großen Portion schmackhaften Wildgulaschs schlafe ich recht gut. Das Gasthaus „Mutter Jütte“ hat wirklich Athmosphäre. An den Nachbartischen beim Frühstück sitzen Verwandte aus Ost und West, die zur Einschulung ihrer Enkel, Cousins etc. eingeladen sind. Man hört unterschiedliche Dialekte. Anscheinend nach drei Jahrzehnten deutscher Einheit eine Normalität, dass die eigenen Kinder vom Osten in den Westen gegangen sind und dort seßhaft wurden. Mit einem Ehepaar von der Ostseeküste (Neustadt in Holstein) unterhalte ich mich über Disziplinprobleme, wenn die Enkel zu Besuch kommen. Die Zeiten haben sich verändert. Nach dem Motto: „Wenn das meine wären …“
Am Samstag fahre ich tagsüber einmal durch den Ort, suche – vergeblich – den jüdischen Friedhof, der irgendwo versteckt im Wald liegt, fahre auf der Straße in das thüringische Bischhagen bis zur nicht mehr sichtbaren Grenze und verwende ansonsten den Tag zum Schreiben der Tagebuchaufzeichnungen und vor allem zum Übertragen der Berichte und Fotos auf die Webseite, die Dors dankenswerter Weise für mich eingerichtet hat.
Es wird mir klar, dass ich nicht nur körperlich, sondern auch von den bisherigen dreieinhalb Wochen Reise entlang der deutsch-deutschen Grenze emotional ausgelaugt bin. Aus dem ursprünglich vorgesehenen einem Ruhetag werden zwei.
Beim Abendessen begegne ich dem etwas gehobeneren Publikum, meist Lehrer/innen, Professor/innen aus dem nahen Göttingen, die sich gewählt, um nicht zu sagen akademisch ausdrücken, mit dem Auto mal einen kleinen Ausflug in das Wendebachtal unternehmen. Irgendwie merke ich, dass nach dieser auch persönlich sehr aufregenden Woche im Eichsfeld das ganze (westdeutsche) Ambiente mir sehr vertraut ist, zumal Orte genannt werden, die ich noch aus meiner Jugend vom Fußballspielen her kenne. Ich werde mir meiner zwei Wurzeln bewusst: hier das in der DDR gelegene katholische Eichsfeld mit dem etwas burschikosen „Du“, wenn ich Männer anspreche (vielleicht auch ein Erbe meines Großvaters), und dort das bundesdeutsche, mehr intellektuell und auf größere Distanz ausgerichtete Ambiente und „Sie“ in der Kommunikation mit fremden Menschen.
Ich erinnere mich an die Zeiten als Schüler auf dem Bau, nach dem Studium als Bierfahrer in Weiterstadt b. Darmstadt sowie als Fernfahrer und Lagerarbeiter bei der Fa. Koch Spedition in Büttelborn im Kreis Groß-Gerau, an das Übernachten im Schlafsack neben einer Roma-Großfamilie auf einem freien Feld in der Mitte Siziliens Anfang der Siebziger Jahre einerseits und andererseits die Empfänge beim Bundespräsidenten im Rahmen des Geschichtswettbewerbes der Hamburger Körber-Stiftung Ende der Neunziger Jahre. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich diese ganze Bandbreite an (positiven) Erfahrungen in meinem Leben sammeln konnte …
Am Sonntagnachmittag gibt es noch mehr Besuch bei „Mutter Jütte“, es kommen Gäste, die auch die Vorstellung auf der Waldbühne besuchen wollen bzw. besucht haben. Ein junger Mann, der mit Ach und Krach sein Abitur geschafft hatte. Eer bedankt sich noch nachträglich bei seiner ebenso anwesenden früheren Geschichtslehrerin, die ihm die rettenden 12 Punkte gab, damit er sein Abitur bestand. Später dann BWL studiert. Er schwadroniert lauthals und besserwisserisch über aktuelle ökonomische Probleme in Deutschland. Könnte man ihm doch nur mal den Stecker raus ziehen! Es würde ihm und vielleicht auch den Gästen gut tun.